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Der Budenzauber wirkt noch

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Im Ruhrgebiet bleibt man dem Kiosk um die Ecke trotz wachsender Konkurrenz treu

In Bochum hört man immer wieder die Geschichten von der guten alten Zeit, als die ältere Generation ihr Taschengeld für eine gemischte Tüte an der Bude ausgab. Später war es dann ein Bier, das man dort ganz ungezwungen trinken konnte. An jeder Ecke gab es eine Bude, da kamen alle zusammen und es gab keine Unterschiede zwischen den Menschen.

So weit der Mythos. Aber kein Geschäftsinhaber kann sich nur mit Nostalgie finanzieren. Alleine in der Oskar-Hoffmann-Straße haben in den letzten Monaten 2 Buden geschlossen. Eine steht leer, in der anderen findet man jetzt einen kleinen Verlag. Sterben die Buden langsam aus? Die Studie „Der deutsche Kioskmarkt“ der Unternehmensberatung Bain & Company sagte bereits 2008 ein Schrumpfen der Branche voraus. Die Unternehmensberater gehen von einem jährlichen Rückgang um 1 % aus. Der Tipp: Um zu überleben, müsse das Angebot um frische Produkte und Convenience-Produkte erweitert werden, die außerdem größere Gewinnmargen bedeuten.

Der „Verkaufsshop“ am Steinring hat also Zukunftschancen. Bereits von draußen ist das Metallregal mit den über 50 Sorten Süßigkeiten nicht zu übersehen. Aber erst mit dem Betreten des Ladens wird klar, was für ein großes Sortiment man auf rund 14 Quadratmetern in bis an die Decke reichenden Regalen unterbringen kann. Der Besitzer Markus Dimitriadis spricht mit einer ungewöhnlich hohen, leicht heiseren Stimme von seinem Kiosk als eine Art Tante Emma Laden. Er hat jede Menge Konserven, Batterien, Hygieneprodukte, Zeitschriften und auch Tierfutter im Angebot. Seiner Überzeugung nach kann man heutzutage nur mit einem vielfältigen Angebot Kunden bekommen. Seine Parole „Man muss alles verkaufen.“ Es dürfe nicht passieren, dass ein Kunde das gewünschte Produkt nicht bekomme. Dimitriadis fragt stattdessen immer mal wieder nach den Wünschen seiner Kundschaft. Natürlich kann es sein, dass ein bestimmtes Produkt dann nur von einem Kunden gekauft wird. Aber damit müsse man leben. Eine Studie des Competence Center for Convenience an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht i.Gr. (Wiesbaden) von 2011 gibt ihm recht. Von den Befragten bemängelten 26% das zu kleine Sortiment und kaufen daher woanders ein. Die Wünsche beinhalten Lebensmittel (31%) und insgesamt eine größere Auswahl (28%).

Das Angebot muss die Kunden natürlich auch erreichen. Die Lage des „Verkaufsshops“ ist vorteilhaft und bereits 1955 machte hier ein Kiosk auf. Eine Bus- und Straßenbahnhaltestelle, an der viele Schüler der benachbarten Schulen einsteigen, ist nur 50 Meter entfernt. In der Nachbarschaft wohnen sowohl Studenten als auch Rentner. Einige Gewerbeflächen runden die Mischung ab, die sich auch in der Kundschaft des Kiosks widerspiegelt. Wer sich hier auskennt, weiß aber auch, dass die Konkurrenz, eine Tankstelle und Supermärkte, auch nur wenige hundert Meter entfernt ist. Die Tankstellenshops haben ihr Sortiment immer weiter ausgebaut. Mit der Liberalisierung der Ladenschlussgesetze verloren die Buden einen ihrer Wettbewerbsvorteile. Der Umsatz geht auch bei Dimitriadis zurück, aber noch ist er zufrieden. Jetzt wird es Frühling und er hat gute Laune, denn das schöne Wetter lockt mehr Kunden an, die spontan Süßigkeiten, Bier oder Eis kaufen. So kann der Verkäufer den geringen Verdienst aus dem Winter ausgleichen. Das schafft er auch dadurch, dass die ausgehängten Öffnungszeiten nur ungefähre Angaben sind. Wenn es an einem Sommerabend gut läuft, bleibt der Kiosk auch bis nach Mitternacht offen. An einem Wintermorgen macht er dann lieber später auf. Schließlich steht er den ganzen Tag alleine im Laden. „Wir haben auch mal Brötchen angeboten, aber das hat sich nicht gelohnt. So kann ich 20 Minuten länger schlafen.“ Er lächelt fast ein bisschen beschämt und gießt sich noch einen Kaffee ein. Trotz ständigen Schlafmangels ist er zu jedem Besucher freundlich. „Ohne Freundlichkeit geht nichts.“ Die ältere Dame auf der Suche nach einer Arztpraxis wird ebenso herzlich begrüßt und verabschiedet wie die Stammkunden. Bei denen weiß Dimitradis schon, was sie möchten. „Wie immer die Bigbox?“ Eine andere Kundin, weiß noch gar nicht, was sie sucht. „Was sind das für Tüten, die mein Enkel hier immer holt?“ Dimitriadis weiß sofort Bescheid, es sind Fußballkarten. Das Geschäftliche ist schnell geregelt. Im Supermarkt würde jetzt wohl der nächste Kunde drängeln. Dimitriadis aber erkundigt sich nach einer gemeinsamen Nachbarin, um die sich die Kundin kümmert. Der soziale Faktor der Bude spielt also weiterhin eine große Rolle und macht den Unterschied. Es ist also nicht alles Nostalgie, was man über diese Läden hört. Die Buden sind noch immer ein Stück Ruhrgebietskultur und werden es wohl auch bleiben. Markus Dimitriadis ist jedenfalls davon überzeugt, dass auch sein Nachfolger erfolgreich sein wird. Die gemischte Tüte am Steinring ist also vorerst gesichert.

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