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„Der Radfahrer von Tschernobyl“ von Javier Sebastián

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Am 26. April 1986 kam es im Block 4 des Atomkraftwerks Tschernobyl zu einer Explosion. Ich war damals noch nicht ganz vier Jahre alt und habe darüber nie etwas in der Schule gelernt. Die eine oder andere Reportage hatte ich vor einem Jahr im Zuge der Fukushima-Katastrophe gesehen. Es ist passiert, es war ganz schlimm, es wurden viele Fehler gemacht und in dem Gebiet wurde eine Sperrzone eingerichtet. So konnte ich mein Wissen über den Super-GAU bis vor einigen Wochen zusammenfassen. Im Katalog des Verlages Klaus Wagenbach fiel mir dann das Buch „Der Radfahrer von Tschernobyl“ auf.

In dem Buch wird ein Spanier in Paris Zeuge davon, wie ein älterer Herr in einem Schnellrestaurant zurückgelassen wird. Notgedrungen nimmt er ihn bei sich auf und versucht herauszubekommen, wer dieser Mann ist. Parallel dazu wird in Rückblenden das Leben in dem Dorf Prypjat beschrieben. (Wie ich mittlerweile weiß, liegt es im Zentrum der Sperrzone von Tschernobyl. Es wurde für die Arbeiter des AKW errichtet und erst 36 Stunden nach der Katastrophe evakuiert. Offiziell liegt die Einwohnerzahl heute bei Null, aber es gibt einige Menschen, die dort noch leben.) Und dann stellt sich heraus, dass der ausgesetzte Mann Wassili Nesterenko, einer der bedeutendsten Kernphysiker der Sowjetunion, ist.

Dieser ist eine reale Figur und der Roman bezieht sich in Teilen auf seine Lebensgeschichte. Nesterenko hat sich direkt nach der Katastrophe für die Menschen vor Ort eingesetzt und dafür gesorgt, dass ihre Radioaktivität gemessen wird. Mit seinen Mitarbeitern hat er über die Risiken informiert und sich dafür eingesetzt, dass die Öffentlichkeit über die Vorgänge aufgeklärt wird. Mit dieser Arbeit hat er sich natürlich keine Freunde gemacht. Er wurde entlassen und verfolgt. Zwei Mordanschläge soll es gegeben haben. Auch im Roman gerät er in Gefahr und verschwindet dann spurlos. Für Spannung ist also gesorgt.

Ich bin jetzt immer noch kein Experte auf dem Gebiet und kann dementsprechend nicht genau auseinandernehmen, was Fakt und was Fiktion ist. Javier Sebastián verstrickt beides sehr gut miteinander. Auch Zitate aus Protokollen und anderen Quellen, die mit Fußnoten versehen sind, unterbrechen den Lesefluss nicht. Diese Tatsachen sind es, die das Ganze für mich sogar eher noch unglaublicher machten. Der Roman gehört definitiv nicht zu den Büchern, die man liest und dann vergisst. Auf der Webseite des Autors kann man sich über seine Recherche informieren, Bilder und Videos ansehen. Seine Texte stehen dort leider nur auf Spanisch, aber die meisten verlinkten Dokumente sind auf Englisch.  „Der Radfahrer von Tschernobyl“ ist das erste Buch, das von Javier Sebastiàn auf Deutsch erschienen ist und ich hoffe, dass weitere übersetzt werden.

Den beschriebenen Autoscooter gibt es in Prypjat übrigens tatsächlich, denn am 1. Mai 1986 hätte dort die Kirmes eröffnet werden sollen.

Javier Sebastián: Der Radfahrer von Tschernobyl. Übersetzt von Anja Lutter. Verlag Klaus Wagenbach, 224 Seiten, 19,90 Euro.

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