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Beste Unterhaltung: „Ach, diese Lücke … “ von Joachim Meyerhoff

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Dieses Jahr habe ich mir vorgenommen, möglichst viele der Hörbücher, die mit dem Deutschen Hörbuchpreis 2017 ausgezeichnet werden, zu hören. Per Zufall war das erste Hörbuch der Preisträger in der Kategorie Bestes Hörbuch „Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“ von Joachim Meyerhoff.
Bevor ich seinen Namen in der Liste der Preisträger sah, hatte ich von Joachim Meyerhoff noch nie etwas gehört oder gesehen. Zumindest konnte ich mich nicht erinnern.* Der Titel seines Buches sagte mir nichts. Alles was ich vor dem Einschalten wusste, hatte ich von der Hülle des Hörspiels erfahren: 
„Mit zwanzig Jahren wurde ich zu meiner großen Überraschung in München auf einer Schauspielschule angenommen und zog, da ich kein Zimmer fand, bei meinen Großeltern ein. Diese beiden Welten hätten nicht unterschiedlicher sein können. Davon will ich erzählen: von meinen über alles geliebten Großeltern, gemeinsam gefangen in ihrem wunderschönen Haus, und davon, wie es ist, wenn einem gesagt wird: ‚Du musst lernen, mit den Brustwarzen zu lächeln.‘“
Joachim Meyerhoff verbindet auf grandiose Weise Komik und Tragik miteinander. Im dritten Teil der Romanreihe „Alle Toten fliegen hoch“ nimmt sein Held sich und seine Umwelt immer genauer wahr und erkennt überall Risse, Sprünge, Lücken.
Hier versprach mir ein Zitat aus der Rezension von Deutschlandradio Kultur, dass die fast 12 Stunden „Hochgradig amüsant und mit bewegendem Tiefgang.“ werden. Also so, wie ich das in der Kategorie Beste Unterhaltung erwarte.

Live gelesen und dann auch noch vom Autor selbst?

Ich war sehr skeptisch, denn Live-Lesungen und Lesungen von Autoren gehören nicht gerade zu meinen Favoriten.

Bei einem Mitschnitt hört man ja immer viel vom Publikum und wenn man Pech hat, hört man da den einen Menschen, der einen mit seiner Lache unglaublich nervt. Oder Leute, die an den falschen Stellen reagieren. Oder gar nicht. Bei „Ach, diese Lücke..“ hat sich aber vor allem die Begeisterung des Publikums auf mich übertragen, die ich dann doch schnell nachvollziehen konnte.
Es gibt viele Autoren und Autorinnen, die großartige Bücher schreiben, diese aber niemals vortragen sollten. Joachim Meyerhoff ist immerhin Schauspieler (sogar Burgschauspieler, wie ich dann erfuhr). Viele Schauspieler sind aber miserable Sprecher (und andersherum). Ich würde jetzt auch nicht behaupten, dass Joachim Meyerhoff mein neuer Lieblingssprecher ist. Aber dieses Buch erzählt nun mal seine Geschichte und auch wenn er für meinen Geschmack manchmal seltsame Pausen macht und Betonungen anders setzt, als ich sie erwartet hätte: Es macht Spaß, ihm zuzuhören. Er ist einfach authentisch, kommentiert Versprecher und besondere Szenen und ja, der Norddeutsche ihn ihm kommt auch durch.
 

Das von Joachim Meyerhoff beschriebene „Maschinen bauen“, grafisch dargestellt von Felder KölnBerlin, ist übrigens nicht nur in Schauspielschulen eine beliebte Übung, uff tschah bahh aua wukuwuku!

Großes Hörvergnügen mit ganz viel Liebe

Was dieses Hörbuch zu einem so großen Vergnügen macht, ist die Liebe zu seinen Großeltern, besonders zu seiner Großmutter und Meyerhoffs Art, sie und ihr Leben zu beschreiben. Die Episoden aus der Schauspielschule sind wirklich amüsant und werden für Hörer und Hörerinnen, die diese Welt überhaupt nicht kennen, sicherlich manche Überraschung bereithalten. Es ist sympathisch, dass Meyerhoff sich selbst nicht so ernst nimmt, sein Scheitern und Kritik an ihm nicht verheimlicht. Streckenweise gerät seine Geschichte zu sehr ins Plaudern, es zählt nicht jeder Satz. Wer Poesie sucht, ist hier falsch und es geht auch nicht darum, das Erlebte möglichst hochgestochen auszudrücken. Das Hörbuch ist einfach gute Unterhaltung, die mich an vielen Stellen herzlich lachen ließ und an anderen ergriffen hat. Joachim Meyerhoff erinnert sich bewundernswerterweise an viele Situationen verblüffend gut oder kann die Konstruktion seiner Erinnerung zumindest glaubwürdig verkaufen. Die zwei Welten der Schauspielschule und der Großeltern forderten ihn auf ganz unterschiedliche Weise heraus.  Vielleicht wird es Menschen, die weder eine Affinität zum Schauspiel, noch zu ihrer Familie haben, ganz anders ergehen, aber ich hatte sehr viel Spaß, von dieser Zeit seines Lebens zu hören und konnte gut mit ihm mitfühlen.

Was, schon der dritte Teil?

Wie bereits auf der Hülle angekündigt wird, ist „Ach, diese Lücke…“ bereits der dritte Roman aus der Reihe „Alle Toten fliegen hoch“, die bei KiWi erschienen ist. Ich kenne die beiden früheren Teile nicht, hatte aber kein Problem, in die Geschichte einzusteigen. Es gibt zwar immer wieder auch Rückblicke, aber die sind im Rahmen der Geschichte komplett verständlich. Allerdings bin ich jetzt interessiert an der Vorgeschichte. Der erste Teil „Amerika“ ist ebenfalls bei Random House Audio als Lesung von Joachim Meyerhoff erhältlich, dieses Mal aber in einer gekürzten Fassung. Der Nachfolger „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ wurde bisher noch nicht aufgenommen
 
„Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“ von Joachim Meyerhoff ist im Oktober 2016 bei Random House Audio erschienen. Der rund 12 Stunden lange Live-Mitschnitt ist von Dezember 2015 bis Juni 2016 bei Lesungen am Deutschen Schauspielhaus Hamburg entstanden. Die 10 CDs kosten in Deutschland 21,99€.
 
* Mittlerweile muss ich diese Einschätzung etwas relativieren, denn dass er 2007 zum Schauspieler des Jahres gewählt wurde, werde ich damals mitbekommen haben. Und wenn ich mich nicht ganz irre, habe ich ihn sogar schon auf der Bühne gesehen, in „Wie es euch gefällt“ von William Shakespeare in der Regie von Jürgen Gosch.

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